Starke Einfälle

Was für ein Theater

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Es gibt Menschen, die können sich glücklich schätzen, von Natur aus strahlend, schöne Zähne zu besitzen und in den seltensten Fällen einmal Bekanntschaft mit einem Zahnarzt zu machen.

Leider gehörte ich nicht zu dieser Kategorie Menschen, ganz im Gegenteil. Wenn es meinem Zahnarzt nicht dermaßen widerstrebt hätte, wäre ich glatt bei ihm eingezogen.

Den Grundstein für die Vielfalt meiner Zahnbehandlungen legte in frühester Kindheit der Genuss meines abendlichen Honigschnullers, den meine Mutter geschickt einzusetzen wusste, um mich des nächtlichen Schlafes näher zu bringen.

Als Quintessenz dessen konnte ich bereits als Fünfjährige mit einer stattlichen Sammlung verfaulter Zähne aufwarten. Diese wurden mir zwar kurzerhand entfernt, aber für die bleibenden Zähne hatte das unnachahmliche Folgen.

Im jugendlichen Alter von sechszehn Jahren standen meine hinteren Backenzähne einer Ruine des Mittelalters in nichts nach und mussten unweigerlich überkront werden; zur Freude meines Zahnarztes, dessen Lebensunterhalt zumindest dadurch vorübergehend sichergestellt war.

Wie es allerdings nach dem Einsatz der Kronen um meine Lebensfreude bestellt war, ließ sich im Vorfeld nicht im Mindesten erahnen.

Mein Zahnarzt hatte mich scheinbar nicht ohne Grund mit einer gehörigen Portion Betäubungsmittel bedacht, alleine schon deshalb, um mein Wiederaufkreuzen in seiner Praxis am gleichen Tag tunlichst zu vermeiden.

Ungeahnt der Auswirkungen meiner eingesetzten Zahnkronen, hatte mein Vater für den Abend Theaterkarten besorgt. Jean Baptist Molières „Der eingebildete Kranke“ stand auf dem Programm und sollte nicht ohne Grund noch für die ein oder andere Verwunderung sorgen.

Die erste Überraschung bahnte sich schneller an als gedacht. Während des ersten Bühnenaktes schwand bei mir zusehends die Betäubung und ließ in mir das Gefühl aufkommen, als befände sich mein Unterkiefer in einem Schraubstock. Das Theaterstück keimte vor Langeweile und ließ demzufolge jegliche Aufregung vermissen. Stattdessen konnte ich mich ungestört meinem Zahnschmerz widmen und hätte vor lauter Elend am liebsten in das Sitzpolster der Parkettloge gebissen.

Zwar war der Darsteller des „Eingebildeten Kranken“ eines der besten Schauspieler, den das Aachener Theater zu bieten hatte, aber seinem einschläfernden Text konnte selbst er nichts entgegensetzen, es sei denn, er wäre gefrustet ins Orchester gesprungen.

Dann folgte ungeahnt und entgegen aller Vorzeichen die zweite Überraschung. Im Parkett entlud sich einem der Zuschauer urplötzlich eine voluminöse Lachsalve, dem unaufhaltsam das ganze Spielhaus mit Getöse Folge leistete.

Infolge des dargebrachten Bühnentextes gab es eigentlich nicht das Geringste, dass zur Belustigung Anlass gegeben hätte, doch scheinbar war der extrovertierte Theatergast, von einer derart blühenden Fantasie beseelt, dass er seinem Lachzwang nicht mehr Einhalt gebieten konnte.

Ungeahnt des Missgeschicks stand der Bühnenkünstler nun wie versteinert auf der Spielfläche und wusste nicht wie ihm geschah. Allen Blicken zum Trotz zwang er sich mit ernsthafter Miene den turbulenten Lachergüssen des Publikums standzuhalten. Armer Schauspieler!

Was dieser nicht alles über sich ergehen lassen musste, war fast so schlimm wie meine Zahnschmerzen, nur mit dem Unterschied, dass diese alles andere als zum Lachen waren.

Nachdem alle Besucher wieder in den Zustand der Normalität zurückgekehrt waren, konnte der gepeinigte Bühnenheld endlich die im Stück vorgesehene Pointe zum Besten geben. Gar nicht so einfach, dass total verausgabte Theaterpublikum für sich zu gewinnen und zu begeistern. Trotz des Gelächters, dessen sie sich im Vorfeld ergossen hatten, zollten sie ihm tobenden Applaus.

Ja, und zu guter Letzt folgte die dritte Überraschung, bei der ich feststellen musste, dass meine unerträglichen Zahnschmerzen scheinbar den Weg ins Nirvana gefunden hatten.

Offensichtlich hatten die herzhaften Lacher mein Zwergfall derart in Wallungen gebracht, dass meine Kieferschmerzen das Handtuch geworfen und jeglichen Grund ihres Daseins verloren hatten. Leider ließ sich eine Verbindung zwischen beiden Geschehnissen nicht wissenschaftlich belegen.

Ja, so ein Bühnenstück hat schon etwas für sich. Ich für meinen Teil kann wirklich jedem zahnschmerzgeplagten Leidensgenossen nur empfehlen, sich schnellstens für einen Theaterbesuch zu entscheiden.

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